[Wenn einer keine Reise tut]

Wenn einer keine Reise tut,
dann kann er nichts erzählen.
Wenn einer keine Liebe hat,
dann kann er niemand quälen.

Wenn einer keinen Hammer hat,
dann hat er nichts zu klopfen.
Wenn einer keine Mäuler hat,
dann hat er nichts zu stopfen.

Wenn einer keine Brüder hat,
dann hat er nichts zu schwestern.
Wenn einer keine Ostern hat,
dann hat er nichts zu western.
Wenn einer keine Götter hat,
dann hat er nichts zu lästern.

Aus: Hinter der Kurve, S. 11

Rheinfahrt im Winter

Ich fuhr gerade an der Loreley
vorbei
Weit hinter mir bereits lag Bingerbrück
zurück
Der Zug im Schatten, dafür floß der Rhein
im Schein
des späten Lichts, das nur im Januar
so klar
und derart mitleidlos in dieseWelt
einfällt:

Da schien mir mein Trachten und Tun unerheblich,
mein Hoffen verfehlt und mein Reisen vergeblich
zum Zielort derWahrheit. Denn all meine Züge
verkehren seit Jahren auf Gleisen der Lüge –

Ich schreckte auf, denn plötzlich sprach ein Mann
mich an:
Ob ich was wünsche? Dachte lange nach
und sprach:
Ach bringse mir doch bitte einen Sinn,
worin
ich mich sowie mein Fahrtziel finden kann.
Sodann
zog der Beamte schwankend ab, und mich
beschlich

Die Ahnung, der Mann werde nie wiederkommen.
So ward mir die letzteHoffnung genommen.
Denn mittlerweile läßt Köln schon schön grüßen –
und da muß ich raus. Zeit, den Schwatz zu beschließen.

Aus: Gesammelte Gedichte 1954–2006, S. 759 f.

Zwischen Mannheim und Groß-Gerau

Hier scheint der Kleinmut zuhaus.
Alles schaut kleinlich aus.
So kleine Häuschen!
Fast meint man, Mäuschen
blickten zum Fensterlein raus.

Schnurgrad die Straßen sich ziehn.
Aussichtslos hier zu entfliehn.
Weg von der Gradheit,
fort aus der Fadheit
zwischen der Bahn und dem Grün.

Hier und da traut eine Maus
sich auf die Straße hinaus.
Wies Schnäuzchen wittert!
Wies Bärtchen zittert!
Regelrecht kühn schaut sie aus.

Macht manchmal gar einen Satz.
Nimmt jedoch rasch wieder Platz.
In dieser Flachheit
schätzt keine Wachheit:
Alles ist hier für die Katz.

Aus: Gesammelte Gedichte 1954–2006, S. 533